Mit Gott auf ein Eis
Am 30 Juni wurde ich für meinen Dienst als Pfarrerin in der Apostel-Paulus-Kirchengemeinde gesegnet. Mein Chef Michael Raddatz war dabei und hat wundervolle Wort gefunden, die mich an diesem Tag und für meine Aufgaben in der Gemeinde sehr gestärkt haben. Und meine lieben PlayingArts-Schwestern Hanna Buiting, Birgit Mattausch, Annette Platz und Doro Böcker waren auch da. Das hatte ich mir gewünscht und es war für mich speziell an diesem Tag unglaublich wichtig, sie an meiner Seite zu haben, denn ich war ganz schön aufgeregt. Mit ihnen zusammen mache ich am allerliebsten Kirche.
Dies ist meine Predigt zu diesem besonderen Gottesdienst. Es geht um meine Zeit in Belfast, da habe ich eine Weile gelebt. Um die besonderen Menschen, die ich dort kennenlernen durfte, geht es natürlich auch. Und um Gott. Denn durch die Begegnung mit diesen tollen Menschen, von denen ich euch in der Predigt erzähle, durfte ich auch Gott ganz neu entdecken.
Nach der Predigt gab es übrigens Eis – ihr werdet gleich lesen, warum. Und einen ganz wundervollen Bällesegen – das könnt ihr euch im Video anschauen.
Anhaltestelle:
Gottes Schlüssel liegt unterm Stein neben der Tür
Predigttext: Jesaja 55,1-5
Wohlan, alle, die ihr durstig seid,
kommt her zum Wasser!
Und die ihr kein Geld habt,
kommt her, kauft und esst!
Kommt her und kauft ohne Geld
und umsonst Wein und Milch!
Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist,
und euren sauren Verdienst für das,
was nicht satt macht?
Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben.
Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir!
Höret, so werdet ihr leben!
Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen,
euch die beständigen Gnaden Davids zu geben.
Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt,
zum Fürsten für sie und zum Gebieter.
Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst,
und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.
Belfast
Wohlan.
Kommt her.
Höret.
Siehe.
Vor 15 Jahren kam ich nach Belfast. Im Gepäck ein Herz voll Abenteuerlust und eine Seite Schulbuchwissen über die politischen Umstände vor Ort – über nachgärenden Bürgerkrieg und Zäune zwischen Protestanten und Katholiken. Ich blieb fast ein Jahr und lernte die Realität kennen, die sich hinter den wenigen Zeilen meines Englischbuchs verbarg. Ich sah Stacheldraht auf Zäunen auf Wellblech auf Mauern. Ich hörte einen Jungen, 10 Jahre alt, zum anderen sagen: „Nein, es ist nicht möglich. Wir können nicht zusammen spielen. Wir dürfen uns nicht miteinander verabreden.“ Ich hörte das Schweigen und sah den Schmerz der beiden, als wir nach dieser Unterhaltung durch das Tor einer dieser aufgetürmten Peacelines fuhren – Thomas wohnte auf der einen und Connor auf der anderen Seite. Ich sah, was mit einer Mutter passierte, die ihrem Kind dennoch erlaubte, mit jemandem zu spielen, der auf der anderen Zaunseite lebte: Sie trug eine Sonnenbrille, um ihr zerschlagenes, geschundenes Gesicht zu verbergen. Einmal hielt mich ein Soldat an, als ich mit dem Auto unterwegs war. Er stand neben einem Panzer und hatte seinen Finger am Abzug seines Gewehrs. Als ich die Scheibe runterkurbelte und ihn grüßte, entspannte er sich – er sah, dass ich fremd war. Er hörte es auch. Ich durfte weiterfahren, einfach so, Vertrauensvorschuss durch Fremdsein: Es war nicht wichtig, wie ich redete, auf welcher Seite ich meine Ohrringe trug und ob ich das „th“ hart oder weich aussprach. Von mir schien keine Gefahr auszugehen. Das alles wusste ich nicht, als ich mich entschied, für ein Jahr nach Belfast zu gehen, bevor ich zwei Wochen später schon im Flieger saß.
Wohlan.
Kommt her.
Höret.
Siehe.
Du kannst hingehen, wo du willst im Leben, aber du musst immer wieder anhalten, um anzukommen. Bei dir selbst. Bei Gott. Bei den Menschen, mit denen du diese Welt teilst und dieses verdammte und schöne Leben. Du musst immer wieder anhalten, um anzukommen. Um zu sehen. Zu hören. Zu schmecken.
Anhaltestelle
Als ich zum ersten Mal in meine Belfast-Gemeinde in den Gottesdienst ging, da wusste ich, ich würde gleich M. treffen. Wir hatten telefoniert, ihre Nummer hatte ich von einer Freundin. „Halt mal an, was du da jeden Tag tust“, sagte sie. „Geh raus. Was anderes sehen und hören. Damit du nicht vergisst, dass das Leben auch gut ist und diese Welt schön. M. und Ch. sind eine gute Adresse.“ Maureen fand mich nach dem Gottesdienst und sagte mir, dass sie mich gleich mit nach Hause nehmen würde zum Mittagessen (ihre Worte duldeten keine Widerrede). Sie müsse nur kurz noch was erledigen aber ich solle doch schon mal den Schlüssel mitnehmen. Dann wühlte sie in ihrer Handtasche, fand ihn und gab ihn mir. „Der ist für dich“, sagte sie. „Die Tür ist eh meist offen, aber falls sie mal verschlossen ist oder wir sind nicht da: Komm rein. Der Kühlschrank ist voll und oben im Musikzimmer ist ein Bett für dich.“ Mit einem Lächeln und einem kurzen Nicken rauschte sie davon und ich stand da, mit halbwegs offenem Mund glaube ich. In diesem Moment, noch bevor ich ihr Haus überhaupt betreten hatte, wurde es meine Anhaltestelle. 13 U. Avenue, das Haus mit der roten Tür, neben der Kirche, mitten im Kneipenviertel. Ich nutze diesen Schlüssel oft. Ich ließ das Leben und den Alltag vorbeiziehen. Dazu eine Tasse Tee mit Milch. Und ein Keks aus dem oberen Schrankfach. Wenn ich meinen Schlüssel vergaß fand ich Ersatz unter dem dritten Stein rechts neben der Tür. Manchmal war ich allein dort und genoss die Ruhe. An kalten und regnerischen Tagen prasselte ein Feuer im Kamin und ich saß eingerollt unter einer Decke auf dem Sofa und schaute in die Flammen. Wenn die Sonne schien setzte ich mich auf die kleine Mauer draußen im winzig kleinen Garten hinter der Küche und schaute den Schnecken zu, wie sie das nächste Salatblatt ansteuerten. Ihr könnt euch denken, dass ich nicht die einzige war, die einen Schlüssel zu Nummer 13 hatte. Wir waren Viele und oft waren wir zusammen. Wir teilten unsere Geschichten miteinander und Worte wurden zu Brot. Wir kochten, mindestens immer freitags, und bis das Essen auf dem Tisch stand wusste man nie so genau, wer noch dazukommen würde. Wir lachten und weinten, wir beteten, und manchmal stritten wir auch. In der Anhaltestelle für Viele, 13 U. Avenue, Belfast. Haus mit der roten Tür und dem Schlüssel unterm Stein.
Wohlan.
Kommt her.
Höret.
Siehe.
Hört! Seht! Sagt Jesaja den Kindern Israels.
„Schau!“ und: „Horch!“ sagte mein Vater mir und meinen Geschwistern immer wieder. Unterwegs in der Stadt oder im Wald hielten wir an und und wurden still. Wir hoben die Köpfe und sahen Falken auf Strommasten sitzen. Wir schauten unter Steine und sahen Käfer krabbeln. Wir hörten den Löwenzahn aus dem Asphalt wachsen und den Wind, wie er unsere Ohren mit Geheimnissen kitzelte.
Hört! Seht! Kommt her! Neigt euer Ohr her zu mir!
Denn was ich zu sagen habe, braucht Zeit, um in die Seele zu sickern. Sieh ruhig zweimal hin – es wird schon ankommen in dir, so wie dir Schnecke beim Salatblatt. Und hör genau zu, dann kannst du spüren, wie meine Worte dein Herz wachkitzeln wie der Wind die Blätter in den Baumwipfeln über dir.
Hört! Seht! Kommt her! Neigt euer Ohr her zu mir!
Jesus, der Himmel, das Meer und ich
So hat´s Gott gesagt. Du kannst gehen wohin du willst im Leben. Aber achte auf die Pausen. Sechs Schritte vor und einen stehen. Zusammen sind das sieben und so viele Tage hat die Woche. Ich brauche Anhaltezeiten, damit meine Seele hinterher kommt. Zeiten, in denen ich´s mache wie Jesus: Da steige ich auf einen Berg steige oder auf ein Dach oder einen Baum und bin dem Himmel ein Stückchen näher. Oder schaue den Wolken zu, die über mir herziehen. Zeiten, da stecke ich meine Füße in den Jordan , in die Spree oder ins morgentaufeuchte Gras. Da male ich in den Sand male und aufs Papier oder direkt ins Herz. Nicht nur sonntags, auch mitten am Tag und auch in der Nacht und immer wieder. Nur so kann ich ankommen. Bei mir selbst und bei Gott. Und ich höre, wie er in mein Herz flüstert: Du bist geliebt. Und ich sehe: Dieses verdammte Leben ist eben doch vor allem eines – schön. Und es ist für alle da. Für alle Völker, auch die, die ich nicht kenne und die mich nicht kennen.So hat´s Jesus auch gedacht. Das glaub ich fest. Er hat genau hingeschaut und zugehört. Hat die gesehen, die ungesehen waren und verachtet, die Prostituierten und Korrupten, die Kollaborateure und die krank waren an Leib und Seele. Er hielt sie an und manchmal auch sie ihn. Er holt den Himmel auf die Erde und verteilt Anfangszauber wie kleine Wattewölkchen. Weitergehen ist verändert. Langsamer vielleicht und im Moment, und ein Wattewölckchen immer in der Tasche zum Halten und Teilen. Denn das Weltverbessern liegt uns im Blut und der Himmel im Herzen.
Wir leben alle unter demselben Himmel, sind alle umfangen von Gottes beständiger Gnade wie von einem ewigen, blauen Band. Darum ist es so wichtig, dass wir genauer hinsehen. Lieber zweimal oder fünfzigmal: Die Ozeane sind blau, weil sich der Himmel darin spiegelt und von dieser Gnade erzählt. Wir verraten uns selbst und wir verraten Gott, wenn wir weiter Menschen darin ertrinken lassen.
Gutes in Belfast
Wohlan.
Kommt her.
Höret.
Siehe.
Unsere Mauern und Zäune reichen nicht in den Himmel Himmel hinein: Ich habe Tauben auf peacelines gesehen und Orte, an denen Thomas und Connor miteinander spielten. Ich habe Kinder einer Geschichte lauschen gehört, von Drachen und Rittern und Feen, Kinder die sich zuvor geprügelt hatten. Eine Mutter, die nicht anders konnte, als ihre Kinder anzuschreien und zu schlagen, sah ich die Straße mit leichtem Herzen und tanzendem Schritt die Straße hinuntergehen, ein Kind an der Hand, das andere im Kinderwagen, in Glück und Frieden. Und ich hörte, wie dieselbe Mutter ein Jahr später eine Ausbildung zur Erzieherin begann und anderen Müttern und ihren Kindern half, die in einer ähnlichen Situation waren wie einst sie selbst. Du kannst hingehen, wo du willst im Leben, aber du musst immer wieder anhalten, um anzukommen. Bei dir selbst. Bei Gott. Bei den Menschen, mit denen du Himmel und Erde und Meer teilst. Gut und köstlich ist dieses verdammte Leben, wenn wir anhalten und uns einander zuwenden. Wenn wir unter diesem einen Himmel unsere Geschichten miteinander teilen wie Brot und Wein und Milch.
Gottes Schlüssel unterm Stein
Wohlan.
Kommt her.
Höret.
Siehe.
Gott wohnt in einem Haus mit einer roten Tür. Bevor du ihn kanntest hat er dir dazu den Schlüssel gegeben und Vertrauen im Vorschuss. Als ob er dich längst kennt, irgendwie. Und solltest du ihn mal verbummeln, liegt Ersatz unter dem dritten Stein rechts neben der Tür. Aber du kannst auch einfach klopfen und reingehen, denn Gott ist eh immer zu Hause und die Tür zu allermeist sowieso einen Spalt breit offen – genau wie sein Herz. Du kannst einfach kommen und dich unter einer Decke auf dem Sofa zusammenrollen. Ein warmes Feuer prasselt schon im Kamin und draußen im Garten warten die Schnecken auf dich. Gott schnibbelt und brutzelt schon am Herd und Töpfe und Pfannen klirren. Du lehnst dich an den Küchentresen, mit deiner Tasse in der einen und einem Keks in der anderen Hand. Dann gießt Gott dir noch einen Schluck Anfangsmilch in deinen Alltagstee. An seinem Tisch ist Platz für Viele, und du weißt nie, wer gleich zum Essen vielleicht noch dazu kommt. Dort lachen weinen und essen und trinken, und manchmal streiten wir. Dort sitzen wir zusammen unter einem blauen Himmel. Wir teilen Worte, die unsre Herzen wachkitzeln und lassen die Wolken über uns ziehen.
Amen
Bild mit Eis: ©Hanna Buiting